ich bin nicht genug

Ich bin nicht genug – oder doch?

 

Das Buch ist spannend, und …

Es ist viel zu spannend, da ist keine Zeit zum Atemholen, du müsstest …

Ich wurde reingezogen und nicht mehr freigelassen, genial, genau das liebe ich …

Es ist total stressig, dein Buch zu lesen, davon bekomme ich Kopfschmerzen …

Es sind zu viele Gedankengänge drin …

Die Gedankengänge gefallen mir besonders, ich fühl mich total abgeholt …

Ich bin im Wellenbad auf Turbo gedreht und der Bademeister hat am Abend das Licht ausgemacht und vergessen, mich rauszufischen. Hier kämpfe ich seit meiner ersten Buchveröffentlichung vor vier Jahren ums Überleben: bin ich eigentlich genug? Wenn ich oben schwimme, ist es lustig, ich fühle, wie warm das Wasser ist und habe großartige Fantasien, wie viele Menschen mein Buch lieben werden. Wenn die Welle über mir zusammenbricht, werde ich durchs Wasser geschleudert, alles dreht sich, ich schlucke Chlor und bin sicher: ich werde sterben.

ich bin nicht genug

Doch wie kann man sein Leben als Autor leben und Bücher veröffentlichen, die Menschen lesen und beurteilen? Wie soll das gehen, ohne selbst ständiger Gast beim Therapeuten zu sein, weil wieder eine Ein-Sterne-Rezension reinkam oder ein Bekannter der Ansicht ist, dein Buch enthalte zu viele oder zu wenige Sexszenen?

Urteile bekommen wir schon ganz früh zu hören

Als Erzieherin und Mama habe ich gelernt, Zuckerbrot ist nichts anderes, als die Peitsche. Letztendlich ist es ein Urteil und wenn es gut ausfällt, dann feiern wir und finden Urteile toll – falls es aber schlecht ausfällt, dann öffnet sich ein endloser Graben vor uns und wir möchten am liebsten reinspringen und die Erde über uns zuscharren.

Wir sind darauf trainiert, Urteile anderer über unser Tun und Sein zu akzeptieren. Das beginnt ganz früh, wenn es Eltern und Verwandte nicht übernehmen uns auf Urteile zu konditionieren, dann spätestens die Schule. Für deine Arbeit bekommst du Noten und Noten sagen etwas darüber aus, wer du bist und was du werden und tun kannst.

Später lassen wir uns von Vorgesetzten beurteilen („du bist fleißig, du bist faul, du bist schlau oder dumm“). Von Freunden („Die Brille steht dir nicht!“), Bekannten („du siehst aber heute schlecht aus!“), den eigenen Partnern („Mein Partner ist sehr unordentlich.“), sogar von unseren Kindern. („Du bist eine blöde Mama!“). Und natürlich schließen wir uns selbst an, in diesem Reigen und – da wäre nichts Schlechtes daran, wenn wir uns klarmachen, dass ein Urteil mehr über den Richter aussagt, als über denjenigen, der beurteilt wird.

Noch einmal, damit es nicht untergeht:

Ein Urteil sagt mehr über den Richter aus, als über denjenigen, der beurteilt wird. Punkt.

Beispiel: „Dein Buch ist ja ganz gut, aber die Liebesgeschichte hätte es nicht gebraucht.“

Was sagt das über den Richter aus? Er mag vielleicht keine Liebesgeschichten, oder jedenfalls nicht diese. Etwas daran scheint ihn sogar zu ärgern, vielleicht hat er gerade selbst eine unglückliche hinter sich, hat keine guten Erfahrungen mit Liebesgeschichten und kein Interesse daran. Was immer es auch ist, warum er sie ablehnt, es hat erstmal nichts mit dem Buch und der Romance darin zu tun.

Bei anderen Beispielen wird es sofort viel einfacher zu sehen: Meine Kinder beurteilen meinen Kochstil sehr oft lautstark. Also habe ich in den Sommerferien gesagt: „Dann kocht ihr eben selbst.“ Haben sie getan, das war toll! Was haben sie sich ausgesucht? Pommes mit Ketchup, Spätzle mit Soße, Würstchen im Schlafrock usw. Und dazu habe ich mein eigenes Urteil: ungesund! Sie mögen also meine Zucchini-Nudeln nicht, weil sie Zucchini in jeglicher Form ablehnen, egal wie, sie schmeckt einfach nicht nach Pommes mit Ketchup, deshalb. Und mein Großer sagt inzwischen: „Ich bin mir sicher, du hast das gut gekocht, aber es trifft nicht ganz meinen Geschmack!“

Wichtig: auch ein gutes Urteil ist eben nichts anderes. Ein Urteil. Und auch dies sagt mehr über den Richter aus, als über die Person oder die Sache selbst.

In dem Buch: „Ich brauche deine Liebe – ist das wahr?“ von Byron Katie gibt es dieses Beispiel von einem kleinen Mädchen auf dem Spielplatz. Versunken im Spiel gelingt ihm ein vollendeter Purzelbaum. Die umstehenden Kinder klatschen und lachen begeistert. Das Mädchen, dass zuerst einfach nur Freude an seinem Purzelbaum hatte, mit sich und der Welt im Reinen war, hält inne. Dieses neue Gefühl ist so stark: Anerkennung! Sie schlägt den zweiten Purzelbaum nicht mehr für sich und ihre eigene Freude – sondern um noch einmal das Klatschen auszulösen und entfernt sich damit von der inneren Versunkenheit und ihrem stillen Glück im Spiel.

Wie können wir diese alte Konditionierung, Urteile über uns ungeprüft anzunehmen also wieder auflösen? Wie können wir wieder das kleine Mädchen auf dem Spielplatz werden, dass einen Purzelbaum aus reiner Lebensfreude schlägt und nicht um jemandem anderen zu gefallen?

1. Schreibe, was dir selbst gefällt

Schreibe nicht „für eine Zielgruppe“, schreibe für dich. Und wenn das zufällig auch einer Zielgruppe gefällt: perfekt! „Denn nur, wenn du bei dir bleibst und authentisch bleibst und auf deine Intuition hörst, wirst du langfristig unabhängiger von Urteilen.“ (Zitat von Heike Stadelmann, meine liebe Schreibtrainerin) Wenn du ganz tief in dir drinnen klar hast, was dir gefällt und was du für gut befindest, kannst du lernen, eine stärkere Position einzunehmen und vielleicht mit den Zehenspitzen Grund im Wellenorkan tasten und dich langsam darin verankern.

2. Lies keine Rezensionen

Keine. Auch nicht die Guten. Wenn du erstmal ins tobende Meer springst, dich also den Gezeiten auslieferst, dann wirst du herumgeschleudert. Auch das Hoch, dass du empfindest, wenn eine gute Rezension kommt, ist nicht deins. Es hat jemand ausgelöst, vielleicht sogar eine wildfremde Person, der du jetzt die Macht über deine Stimmung gibst. Das kann mitunter eine sehr große Macht sein und dich aus deinem Leben reißen. „Du hältst dein eigenes Leben an und lebst das Leben eines anderen Menschen.“ (Frei zitiert aus „Byron Katies“ „Ich brauche deine Liebe“)

Es wird dich von deiner Authentizität forttragen, denn es fühlt sich so verdammt gut an, fast, wie eine Droge und du willst es wiederholen. „Dann fängst du an, dich zu verbiegen“ (Zitat Heike Stadelmann) Du versuchst, erneut dieses Hochgefühl zu erzeugen. Die Kinder auf dem Spielplatz, die das kleine Mädchen gesehen haben, wie es einen Purzelbaum schlägt, beginnen selbst, dies nachzuahmen und rufen: „Sieh mich an!“, „Sieh mich an!“ Es geht überhaupt nicht mehr um den Purzelbaum oder die Lebensfreude darin, es geht darum, gesehen zu werden und Anerkennung zu bekommen.

3. Überprüfe deine Gedanken

Was steht hinter dem Zusammenbruch wegen eines schlechten Urteils, was ist der Gedanke, der zuerst da war und dich quält?

Etwas wie „Das Buch ist nur gut, wenn jeder es mag“? „Wenn derjenige es nicht mag, dann kann es nicht gut sein“? „Ich bin schlecht, wenn jemandem mein Buch nicht gefällt“? „Ich bin nicht genug!“

Versuche diesen Gedanken aufzuspüren und fühle ihm auf den Zahn: „Ist es wahr?“ (Byron Katie). Ist es wahr, dass du nicht gut genug bist, weil Markus oder Elisabeth dein Buch nicht mögen? „Kannst du absolut sicher sein, dass dies wahr ist?“ (Byron Katie).  Können Markus oder Elisabeth dein Buch eigentlich überhaupt beurteilen? Sind sie berechtigt, es in Grund und Boden zu stampfen? Markus liest sowieso nicht gerne und Elisabeth steht auf Horror. Sie fand das Buch zu wenig spannend.

Oft finden wir hier Gedanken, die tief in uns arbeiten und die bei Licht betrachtet sogar beinahe witzig sind. Denn natürlich ist uns bei wachem Bewusstsein klar, dass nicht JEDEM Menschen gefallen kann, was wir tun. Das ist schlicht und ergreifend nicht möglich! Also kann auch nicht jedem Menschen mein Buch gefallen, oder? Was ist das für ein alberner Rückschluss: Mein Buch ist schlecht, weil Markus es nicht mag?! Markus mag mein Buch nicht, das ist okay, das ist seine persönliche Freiheit, ich kann ihn nicht dazu zwingen, es zu mögen. Mehr ist nicht passiert. Das Buch ist immer noch da und ich auch. Es ist einfach eine Geschichte in meinem Kopf, die ich mir erzähle: „Wenn Markus mein Buch nicht mag, ist es kein gutes Buch“. Es ist ein Märchen und wir kennen den Wahrheitsgehalt überhaupt nicht – aber wir richten unser Leben danach aus.

4. Kehre zu dir selbst zurück

Es gibt meine Angelegenheiten – deine Angelegenheiten und Gottes Angelegenheiten (Byron Katie). Wessen Angelegenheit ist es eigentlich, wenn Markus mein Buch blöd findet? Es ist Markus Angelegenheit. Und wessen Angelegenheit ist es, wenn ich selber deshalb zusammenbreche? Meine. Wenn ich versuche Markus zu kontrollieren, damit er mein Buch mag (z. B. in dem ich so schreibe, dass es ihm gefallen muss), dann rudere ich durch sein Leben und kümmere mich ständig um seine Angelegenheit. Das macht mir ein Gefühl von Getrenntheit und Machtlosigkeit, ich verheize Energie für einen Kampf gegen Windmühlen, den ich niemals gewinnen kann. Ich befinde mich ja auch nicht mehr in meinem Leben, sondern in Markus Leben und wer lebt dann eigentlich meins? (frei nach Byron Katie) Das ist vermutlich irgendwann ein Burnout-Sargnagel und ich werde so außer Atem sein, dass ich keinen Funken Kreativität mehr in mir habe.

Also kehre ich zu mir zurück und schaue mir an, wie ich auf Urteile reagiere. Versuche einen Weg zu finden, wie ich mich aus Markus Angelegenheiten heraushalten kann und mich um das zu kümmern, was in mir ist und was ich auch wirklich beeinflussen kann: meine Angelegenheit. Meine Gedanken. Meine Gefühle, die damit zusammenhängen.

Soll ich also gar keine Verbesserungsvorschläge annehmen?

Das ist jetzt die Schwierigkeit für jeden Autor, für jeden Mensch. Was davon, das andere Menschen zu mir sagen, ist einfach ein Urteil, das mehr über ihn aussagt, als über mich? Und was sollte ich ernst nehmen?

Solange dich Urteile berühren, aufwühlen, ins Wellenbad kippen, ist es wichtig, sie zu überprüfen (meine Angelegenheit). Das heißt nicht, dass das Urteil immer Bestand hat („Dein Buch ist zu emotional – es ist zu wenig emotional“), aber etwas daran wühlt mich auf und welcher Gedanke steht dahinter? Trifft das Urteil einen Nerv? Kann ich sehen, dass ich vielleicht schon einmal zu emotional oder zu wenig emotional geschrieben habe? Mit Sicherheit. Vermutlich haben all diese Urteile irgendeinen Grund, solange sie mich berühren – und sei es nur den, dass ich erneut überprüfen muss, warum ich den Grund unter den Füßen verliere, sobald ein Urteil kommt.

Das meiste, was ich an Urteilen gehört habe, kann ich bei Licht und nüchtern betrachtet sogar sehen. Ich habe bestimmt schonmal im Leben zu unemotional geschrieben, zu viel/zu wenig Sexszenen eingebaut, das Ende verkackt, zu viele Schimpfworte benutzt, eine alberne Wendung geschrieben, ja! (Ich bin der Teufel!) Irgendwann habe ich das mal gemacht, vermutlich liegt diese Szene in einer Schublade und hat nie das Licht der Welt erblickt. Ich kann den Urteilen also problemlos zustimmen, lächeln, aus dem Wellenbad klettern und den Notausgang aus dem Schwimmbad nehmen. Das ist okay. Es heißt nämlich nicht, dass ich oder mein Buch schlecht sind. Es heißt nur, dass es ganz sicher in meiner Lebenszeit schon einmal vorgekommen ist, denn mein erstes, winziges Buch habe ich mit 12 Jahren geschrieben.

Und wer hilft mir mein Buch zu verbessern?

Es gibt natürlich Menschen, denen ich mein Buch in die Hand gebe zur Beurteilung, meiner lieben Lektorin, meinem Mann und ab und zu einer Freundin und natürlich Testleserinnen und dann Menschen, die Schreibfehler suchen. Ich tue es deshalb, weil ich ihnen vertraue und weil man selbst betriebsblind wird. Das sind gezielt ausgewählte Menschen, die wissen, wie sie mir etwas sagen können und denen gegenüber ich sehr offen bin und beinahe jede Anmerkung umsetze, die ich umsetzen kann. Ich bitte sie um Hilfe bei der Verbesserung meines Buches und bin ihnen überaus dankbar, welche Mühe sie sich machen, Fehler zu finden und zu korrigieren. Dabei spielen meine Gedanken nicht verrückt und ich befinde mich auch selten in einem Wellenbad der Gefühle.

ich bin nicht genug