Eine Mutter mit einer geheimnisvollen Gabe. Schattenwesen, die eine Stadt zerstören. Eine große Liebe in Gefahr.

Der neue Julei Brenz-Roman ist da!

Emma Hahnenfuß – Schattenangst

Band 2 der Stadt-der-Schatten-Reihe Leseprobe:

Prolog

„Willst du uns das wirklich antun?“ Ihre Schulfreundin Anna brüllt gegen den Beat an. Elli neigt sich vor, um sie richtig zu verstehen und grinst dann: „Hör auf, ich sterbe ja nicht, ich wechsle nur die Schule!“

„Aber wir sind völlig hilflos ohne dich!“ Anna wischt sich Tränen aus den Augen. Sie grinst und heult abwechselnd. Elli umarmt sie fest. Denn sie soll nicht sehen, wie auch sie selbst mit den Tränen kämpft.

„Natürlich seid ihr nicht hilflos ohne mich!“, sagt sie laut in das Ohr ihrer Freundin. Die Bar wird immer voller. Licht zuckt über die Decke und all diese Gestalten um sie herum wirken eher wie Schattenwesen aus einer anderen Welt. Mama würde ihr nie erlauben, hierherzukommen. Papa ist es egal. Also konnte sie feiern gehen, denn es ist Papa-Freitag. Und der letzte gemeinsame Schultag mit ihren Freunden. Danach wird sie nie wieder mit ihnen in einem Klassenzimmer sitzen, es sei denn, ein Wunder geschieht. Ein winziger Teil in ihr hofft vergeblich, dass es so sein könnte. Ein Wunder und sie könnte wenigstens Anna mitnehmen.

„Warte hier!“, sagt einer ihrer Schulfreunde. Anna kichert. Sie verschwinden beide in der Menschenmenge und Elli beschließt, einmal über die Stränge zu schlagen und sich noch eine Limonade zu bestellen.

„Das soll ich dir geben.“ Der Barkeeper schiebt Elli ein Getränk entgegen. Rosafarbene Flüssigkeit in einem geschwungenen Glas, eine Orangenscheibe, die am Rand klemmt. Er lehnt sich über den Tresen und deutet dann mit dem Kinn zur anderen Seite der langen Bar. Elli sieht nur Rücken und Hinterköpfe, ein knutschendes Paar, Flimmerlicht. Dann verschiebt sich etwas und aus dem Schatten heraus trifft sie ein Blick. Dunkle Augen in einem Jungengesicht. Locken, die ihm in die Stirn fallen. Ein Grinsen, mehr als selbstsicher, und dann tut er es: Er zwinkert Elli zu. Igitt. Elli hätte gerne abgelehnt, doch der Barkeeper ist schon wieder verschwunden. Elli schiebt den Drink zur Seite. Er riecht nach Alkohol. Elli trinkt keinen. Nichtmal am Papawochenende.

„Das nächste Lied ist für Elli, unsere tollste, mutigste und schlauste Mitschülerin! Du wirst immer unsere Heldin bleiben!“, hört sie da eine bekannte, verstärkte Stimme über dem Lärm. Dann Jubeln und Kreischen. Sie fährt herum und jetzt erkennt sie Anna und ein paar andere aus ihrer Klasse oben auf der Bühne stehen. Sie winken ihr zu und Elli schluchzt nun doch albern los. Dann kratzt es kurz verstärkt in den Boxen und Elli weiß sofort, welcher Song jetzt kommen wird, denn das Kratzen, wie bei einer alten Schallplatte, gehört dazu: „Shadows“ von den „Outsides“ wird gespielt. Ihre Freunde wussten, was sie mag und haben sich diesen Song für sie gewünscht. Es ist nicht leicht, einen Song zu landen, aber offenbar haben sie es geschafft. Elli will ihren Lieblingssong nicht vertun und nur heulen. Sie wischt sich mit den Ärmeln über die Augen, dann stürzt sie sich ins Gedränge, um mit den anderen zu tanzen und zu jubeln. Wenig später tauchen noch mehr Schüler aus der Pedibusschule neben Elli auf, sie wird umringt, gedrückt und umarmt, als wäre sie wirklich eine Heldin. Anna und die anderen tanzen neben ihr und Elli hat keine Gelegenheit, ihnen von dem spendierten Drink und dem angeberischen Typ zu erzählen. Sie will nicht mehr daran denken. Es ist ihr Abend. Ihre kleine Abschiedsfeier von der Pedibusschule. Denn ab Montag wird sie Schülerin im Moveregymnasium für Highsteps sein. Und obwohl sie etwas anderes sagt, ist ihr klar, dass sie Anna und all die anderen dann kaum noch sehen wird.

Erst Stunden später, als sie gemeinsam mit Anna erschöpft auf den Ausgang zutreibt, taucht er nochmal neben ihr auf. An seinem Arm hängt ein fremdes Mädchen und kichert. Elli verdreht die Augen und als sie auf die kühle, feuchte Straße gespuckt wird, schiebt sie ihn aus ihren Gedanken. Auch wenn er der Erste ist, der ihr je einen Drink spendiert hat.

1

Emma

Seit Wochen tragen Tajo und Muck löchrige Boxershorts und ich sollte ihnen im 4two neue kaufen. Ich habe eine ganze Stunde frei, bevor ich die Kinder abholen muss, weil kein weiterer Termin im Hundesalon Pawshion war und Jeanette mich heimgeschickt hat. Ich sitze also tatenlos in meinem alten Caddy, vor dem Pawshion, die Hände auf dem Lenkrad und glotze auf den stockenden Verkehr, der sich wie eine träge Soße an mir vorbei wälzt. Ich gähne. Am besten wäre schlafen!

Ich habe eine weltbewegende Entscheidung zu treffen: Soll ich mich mit Jave treffen oder endlich die Boxershorts kaufen? Ich bin ja nicht abergläubisch, aber ich war nicht im 4two, seit ich dort vor etwa sieben Wochen auf dem Platz vor dem Laden von einem Jungen angeschossen wurde. Was wird heute passieren, wenn ich dorthin gehe?

So ein Blödsinn, Emma. Da passiert nichts. Es ist das Billigkaufhaus dieser Stadt, du warst schon hundertmal drin!, beruhige ich mich. Ich werfe ein Blick auf mein Smartphone. Keine Nachricht von Jave. „Zuletzt online um 02:39.“ Unglaublich, zu was für Zeiten spielt der Kerl an seinem Smartphone herum? Schläft er auch irgendwann mal? Wahrscheinlich tagsüber. Er ist schließlich kinderloser Single. Ähm – jedenfalls bezeichne ich ihn nach wie vor im Kopf als solchen. Er selbst sieht das vielleicht ein bisschen anders. Er ist reich und berühmt und es kommt mir vor, als würde diese Tatsache eine normale Beziehung unmöglich machen. Jedenfalls mit einem Normalo wie mir.

Ich drehe den Zündschlüssel und ordne mich nach links in den Verkehr ein. Stopp und Go bis zum Pedibus-Parkhaus. Warum ich ein Auto habe, obwohl ich in der Bahn wahrscheinlich schneller wäre? Ich weiß auch nicht. Ich liebe einfach meinen rostigen, alten Caddy namens Kathy. Ich habe ein Gefühl von Selbstkontrolle mit einem eigenen Auto, auch wenn das in dieser Stadt Irrsinn ist. Außerdem kann man als Mutter nirgends sonst laut mitsingen zur eigenen Lieblingsmusik.

Ich quetsche Kathy in eine Parklücke neben einem alten Klepper, der schief eingeparkt hat und bin stolz auf mich, sie so gut im Griff zu haben. Schnell das Radio leiser drehen und schauen, ob mich jemand beim Singen erwischt hat. Zum Glück niemand. Ich steige aus und fahre mit dem Aufzug nach oben. Kalte, nach Plastik riechende Luft schlägt mir entgegen und ich philosophiere darüber, ob man hier nicht Steps abgezogen bekommen müsste, weil man seine Lunge mit Kleinstpartikeln verklebt und das sicher nicht gesund sein kann. Steps bekommst du vor allem für gesundheitsförderndes Verhalten, Sozialverträglichkeit, Engagement für die eigenen Eltern, Verwandten, Schule und Vereine. Die Krankenversicherung „die Zuflucht“ vergibt diese Steps für alles, was ich in meinem Alltag kaum schaffe, weshalb ich auf Step 17 herumhänge und nicht weiterkomme.

Endlich gelange ich von den Putzmitteln über die Haushaltsgeräte (wo ich eine Weile schwelgend vor den Staubsaugerrobotern stehe) bis zur Kinderklamottenabteilung. Welche Größe haben die beiden nochmal? Meine Hand gleitet über die Auslage, da dreht sich eine ältere Frau neben mir um und starrt mich an. Ein Lächeln bricht auf ihrem runden Gesicht durch und ich sehe ihre beiden Zahnlücken: Fehlende ZUF-Steps sorgen dafür, dass sich nicht mehr alle einen Zahnersatz leisten können. Du kannst am Lächeln sehen, wie arm oder reich jemand ist! Doch das alles vergesse ich bei ihren Worten, die sie jetzt an mich richtet:

„Sie sind Emma Hahnenfuß!“

Ich glotze. Grüble fieberhaft. Müsste ich sie kennen? Ja, bestimmt ist das eine der Großmütter aus der Schule. Habe ich vielleicht bei einem der Schulfeste der letzten Jahre mit ihr gesprochen? Ich zermartere mein Gehirn und sehe dabei wahrscheinlich wie eine Vollidiotin aus, da wird ihr Lächeln noch breiter: „Sie kennen mich nicht!“

Ich atme erleichtert aus.

„Ich habe sie von den Bildern erkannt!“

„Ähm…“ Mein Mund wird trocken und ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht läuft. „Welche Bilder?“

Sie zückt ihr Smartphone mit dem Riss auf dem Display, drückt mit ihren klobigen Fingern ein wenig auf darauf herum und zeigt mir das Bild einer verwegen wirkenden, rothaarigen Frau Anfang dreißig, in deren Hintergrund einige schwarz gekleidete Gestalten stehen und dahinter die Skyline der Stadt. Ich – auf dem ZUF-Tower, ein seltsames Leuchten um mich herum. Ich – in cool! Sonst sehe ich bestimmt nicht so aus. Konnte man das Leuchten wirklich so deutlich sehen? Woher kommt dieses Foto, verdammt! Weiß sie denn auch, was ich dort getan habe?

Ich schlucke.

„Sie sind außerdem angeschossen worden.“ Die Frau wischt weiter auf ihrem Smartphone, erbarmungslos. Bilder von mir, wie ich auf dem Boden des Pedibusplatzes liege, mitten zwischen einem Taubenklecks und einigen festgebackenen Kaugummis. Blut sammelt sich um meine Schulter und ich bin offensichtlich bewusstlos. Das ist ein richtig schlechter Winkel für ein Foto. Schräg von unten. Ich sehe fett und verquollen aus. Die Frau scheint das überhaupt nicht zu stören: „Sie sind eine richtige Heldin! Sie sollten nicht hier einkaufen müssen! So sind die halt. Wenn man zu denen gehört, muss man überhaupt nichts. Und wenn man nicht dazu gehört, kriegt man überhaupt nichts. Sie sind eben eine von uns, Emma!“ Sie strahlt. „Wir sind alle wirklich stolz darauf!“

Ich schlucke erneut. Ich sollte etwas sagen. Aber mein Hirn ist in den Standby gefahren und bekommt keine Antwort mehr zustande, die auch nur annähernd sinnvoll erscheint. Wer sind eigentlich wir? Ihre Familie? Die Menschen aus dem  Pedibusviertel? Irgendeine völlig irrsinnige Gemeinschaft von Leuten, die solche Fotos sammelt?

Sie tätschelt mir die Schulter. „Javechat. Sie wissen doch, Parallel!“

Parallel? Ach ja, Elli hat das mal erwähnt. Es gibt da einen ganzen Anhängerclan von Javejüngern und sie unterhalten sich in einem Chat, der anscheinend nicht überwacht wird. Ich will mich zwingen, endlich etwas zu der Javejüngerin zu sagen, da werde ich der Peinlichkeit dieser Situation enthoben, weil die Neonleuchten an der Decke zu flackern beginnen und schließlich ganz ausgehen. Dunkelheit. Von hier aus kann man rechts das grüne Notausgangschild leuchten sehen, das jetzt zu zucken beginnt und weiter hinten einen helleren Schein, wo es auf den Pedibusplatz hinaus geht, der im hellen Tageslicht daliegen muss.

„Stromausfall?“, fragt die Frau, deren Umrisse ich jetzt nur noch schemenhaft erkennen kann. Sie greift nach meiner Hand und drückt sie viel zu fest, während um uns herum Weltuntergangsstimmung ausbricht. Menschen rufen, drängen sich vorwärts zum Licht wie Falter. Fragen und Rufe schallen durch den Laden und ich höre weiter zum Ausgang hin einen Mann beschwichtigend auf die Leute einreden. Was er sagt, verstehe ich nicht.

„Wusste ich’s doch!“ Ich finde plötzlich meine Sprache wieder. Zische der Frau zu: „Ich sollte wirklich nicht mehr hier einkaufen. Es geht einfach immer schief!“

„Wie meinen Sie das?“

„Ach…“ Jegliche Worte ersterben, als das Licht erneut flackert und im blitzlichtartigen Schein drei Männer auf uns zugerannt kommen, düster, wie wilde Dämonen. Sie schlagen brüllend mit Metallrohren auf die Regale ein. Ein Höllenlärm bricht los. Keramik klirrt zu Boden. Staubsauger krachen ohrenbetäubend aus ihren Halterungen. Nudel- und Chipspackungen zerplatzen wie ein Funkenregen in der Luft. Die fremde Frau, die meine Hand umklammert, schreit auf. Die drei Kerle nähern sich und ich kann im Flackerlicht immer wieder ihren Gesichtsausdruck erkennen. Verzerrt und nahezu unmenschlich.

Ich muss hier weg! Sie kommen direkt auf uns zu. Mein Herz überschlägt sich. Los, Emma, tu was! Ich zerre die Javejüngerin hinter mir her und versuche zur Seite auszuweichen. Einer der Männer holt mit seinem Metallschläger aus. Rums! Der Ladenboden erzittert, als das eine Regal gegen das andere kippt und ich weiche gerade noch zur rechten Zeit in einen Seitengang. In Sicherheit. Ich bin sicher! Oder?

Bis –

„Du!“, höre ich eine raue Stimme hinter mir und fahre mit einem Aufschrei herum. Die Frau lässt meine Hand los und dreht sich ebenfalls der Stimme zu. Da steht ein weiterer Mann, in seiner Hand ein Golfschläger, der noch originalverpackt ist. Ach verdammt! Er fixiert mich mit seinem Blick. Seine Augen sind schwarz. Tiefschwarz. Ich weiche zurück, doch hinter mir befinden sich jetzt die drei Verrückten, die brüllend weiter rennen. Die Javejüngerin wimmert. Ich spüre mein Herz im Hals pochen.

„Du!“, wiederholt der Kerl und geht einen Schritt auf mich zu. Seine Augen glühen! Hat er Drogen genommen? Ich fühle mich, wie eine Fliege im Netz. Drücke mich gegen eins der Regale, spüre das harte Regalbrett in meinem Rücken. Dosen verrutschen und poltern zu Boden. Ich sehe nur den Golfschläger und das Flackern seiner Augen. Er neigt sich drohend über mich. Im selben Augenblick wird das Kreischen aus dem hinteren Teil des Ladens wieder lauter, denn jetzt bricht dort ein Krachen und Schmettern los, das sich in rasender Eile nähert. Diesmal ist es nicht menschlich. Diesmal ist es ein Wirbelsturm, eine vollkommen verrückte Überspannung, etwas Unnatürliches, das sich wie eine pechschwarze Wolke rasend nähert. Jetzt ist es aus, es ist aus und ich werde sterben, hier und sofort. Ich starre den überirdischen Wirbel an, der auf uns trifft. Für Sekunden nur Schwärze und das Brüllen unmenschlicher Stimmen. Sie bohren sich in mein Ohr. Sie erfüllen mein Herz. Sie jagen durch meinen ganzen Körper. Der scheint nicht mehr mir zu gehören. Ich verliere Ort und Zeit. Oben und Unten. Die Stimmen werden lauter, mächtiger, dröhnen. Der Boden beginnt zu beben. Es sind die Schatten. Sie flüstern Ängste. Doch es ist ganz und gar nicht wie sonst – es ist so viel stärker. Sterben!, dröhnen sie in mir. Sterben, sterben, sterben! In dem Strudel aus Dunkelheit und fesselnder Angst erinnere ich mich. Ich erinnere mich an Mason, an die Nacht oben auf dem ZUF-Tower, als ich mein Licht über alles geschickt habe wie eine Comic-Zauberin aus Tajos Heften. Ich erinnere mich an die Wärme, an die ich mich klammerte und die um sich griff und all die Dunkelheit verscheuchte. Ich ringe um Luft. Ringe um Fassung. Ringe darum, erneut diese Wärme zu fühlen, doch da ist nur Angst. Bodenlose, eiskalte Angst. Sie legt sich um mein Herz und drückt zu. Es ist vorbei, flüstert jetzt ein Chor von Stimmen. Du hast versagt. Du hast das Falsche gemacht. Du hast alle in Gefahr gebracht. Du hast uns befreit. Wir können uns nehmen, wen wir wollen. Wir können beherrschen. Wir können aufhetzen. Wir können Gestalt annehmen. Wir können jeden haben. Wir können die Stadt zerstören. Niemand kann uns aufhalten. Niemand, auch du nicht. Du hast dir eingebildet, gegen uns gewinnen zu können. Aber du kannst nicht gewinnen. Niemals. Wir werden uns die holen, die du liebst. Wir können jeden haben. Plötzlich verstummen die Stimmen, genauso unvermittelt, wie sie gekommen sind. Etwas scheint an mir zu reißen und zu saugen, dann lässt es mich los, gibt mich wieder frei, meine eigenen Gedanken haben wieder Platz in meinem Kopf. Luft. Luft gelangt wieder in meine Lungen. Der Druck auf meinem Herzen lässt nach und ich bemerke, wie nass meine Wangen geworden sind.

Ich sinke auf die Knie, als der Wirbel weiter jagt. Er rast fort und doch hat er einen Samen in mein Herz gelegt. Ich kann zuhören, wie er keimt. Wir können jeden haben. Wir werden uns die holen, die du liebst. Ich erschauere. Meine Kehle fühlt sich zugleich eng und so trocken an. Ich schlage die Hände vors Gesicht und schließe die Augen. Das Lärmen und Toben entfernt sich von meinem Standort, wird leiser und leiser und als ich wieder blinzle, ist die Düsternis verschwunden. Mein Herz klopft zum Zerspringen und ich schnappe nach Luft. Ich bin wahrlich keine Heldin, ich habe einfach nur Angst. Nackte, blanke, unbarmherzige Angst. Doch es ist noch nicht vorbei. Die Jave-Jüngerin kreischt auf, als ich am Arm gepackt werde. Der Mann mit dem Golfschläger! Jetzt ist es wirklich aus! Er zerrt mich vom Boden hoch und bringt seine Lippen ganz nah an mein Ohr: „Du bist Emma Hahnenfuß!“

Ich fahre zusammen. Im nächsten Moment greift schon mein Gefühl nach ihm, versucht, seinen Abgrund zu ertasten, wie ich es getan habe, damals, auf dem ZUF-Tower und wie ich es auch getan habe, bevor ich auf dem Pedibusplatz angeschossen wurde. Ich greife nach ihm, doch ich spüre nichts, einfach nichts, nur gähnende, schwarze Leere. Ich japse und erstarre zu Stein. Eisigem Stein. Das habe ich noch nie bei einem Menschen gefühlt.

„Ja?“, flüstere ich. Die Jave-Jüngerin jammert.

„Halte dich heraus! Halte dich heraus, Emma Hahnenfuß, oder wir nehmen uns die, die du liebst.“ Und mit diesen Worten schubst er mich fort von sich, ich stolpere rückwärts und falle gegen das gekippte Regal. Wie konnte er erraten, was der schwarze Wirbel mir zugeflüstert hat? Das kann nicht sein! Ich falle zu Boden. Für Sekunden verliere ich vollkommen die Orientierung. Anscheinend muss ich mit dem Kopf aufgeprallt sein. Dann ist die Luft erfüllt von Sirenen. Feuerwehrleute und Polizisten stürmen den Laden. Sie tragen Schutzmasken und sehen aus wie fremdartige Insekten. Sie wickeln mich gegen meinen Willen in eine Decke und faseln irgendwas von Schock. Mehrere Kameras sind auf mich gerichtet, als ich nach draußen gebracht werde und ich versuche, ihrem Blick zu entkommen, indem ich mich abwende. Es braucht nicht noch mehr Bilder von mir, die jeder kennt! Es war schon ein unglaublich großer Fehler, mich überhaupt so zu zeigen, damals auf dem ZUF-Tower.

Zwei Feuerwehrmänner drücken mich auf die Ablage ihres roten Kleinbusses und fragen mich, was ich gesehen habe. Die Schatten, denke ich und schüttle den Kopf. „Vier Männer und danach… naja… Ich weiß nicht, was das war!“, murmle ich. „Aber ich kannte die vier nicht!“, setze ich nach, als ob sie danach gefragt hätten. Sie nicken und notieren sich etwas, dann lassen sie mich sitzen.  Ich mustere das 4two, dessen Fenster in Bröseln am Boden liegen und das jetzt aussieht, als wäre ein Riese hindurch gestapft und hätte wahllos Dinge zertreten und umgeworfen. Ein paar Nothelfer tauchen auf und versorgen kleinere Schnittwunden und Platzwunden der anderen Kunden, stillen Blut und reden ruhig auf die geschockten Leute ein. Jemand leuchtet mir in die Augen und entlässt mich endlich mit den Worten, ich solle mich in der nächsten Notaufnahme durchchecken lassen. Ja klar, hat er mal darüber nachgedacht, wie niedrig mein Step ist, wenn ich hier einkaufe? Ich werfe einen Blick auf mein Smartphone und sehe einen Anruf von Elli und drei Nachrichten: Bist du das vor dem 4two?

Gehts dir gut?

Antworte endlich!

Alles gut. Keine Angst!, schreibe ich mit zitternden, schweißigen Fingern.

Ich frage mich zu meinem Caddy durch und erfahre, dass die Tiefgarage vollkommen unversehrt ist. Als ich gerade in mein Auto einsteigen will, dreht sich ein junger Feuerwehrmann um, der eine andere Person begleitet hat und sagt: „Emma Hahnenfuß, richtig? Sie sollten sich vom 4two fernhalten, glaube ich!“ Er zwinkert mir zu und ich lasse mich in meinen Caddy fallen, atme tief aus und versuche mich zu sammeln. Ein Blick auf die Uhr und eisiger Schreck kracht mir in den Magen: Ich muss Tajo und Muck abholen! Und zwar seit zehn Minuten.